Der Herr sorgt für die Seinen

Was wir von Hagar lernen können

Es ist jetzt schon ein paar Wochen her, seit wir entsprechend des Leitfadens die Geschichte von Abraham gelesen haben. In den heiligen Schriften gibt es typischerweise sehr populäre Geschichten, die jeder kennt. Und dann aber ganz viel, worüber weniger gesprochen wird, was aber deshalb nicht weniger kostbar ist. Solche Teile der heiligen Schriften sind dann vermutlich das, was man liest und denkt: „Ach Mensch, das ist mir irgendwie noch nie aufgefallen“, oder „Das habe ich so nie gelesen“.

Dieses Jahr ging es mir so mit der Geschichte von Hagar, der Magd Saras. Klar kannte ich die Geschichte, aber dieses Jahr hat sie besonders zu mir gesprochen, ist mir besonders ins Herz gedrungen. Nun war es so, dass Abraham und Sara schon sehr sehr alt, aber kinderlos waren. Und offensichtlich hat das hat beide sehr belastet, denn wir lesen in der Schrift, wie Abraham Gott gegenüber seine Trauer über die Kinderlosigkeit ausdrückt. Aber wir können nur spekulieren, wie schmerzhaft es für Sara gewesen sein muss. Nachkommen zu haben hatte für die Menschen zur Zeit des Alten Testaments einen noch viel höheren Stellenwert als für uns heute. Und auch heute leiden Frauen, die – aus welchem Grund auch immer – keine eigenen Kinder bekommen können, oft immens darunter, dass ihnen dieser Wunsch nicht erfüllt wird. So muss es Sara wohl das Herz zerrissen haben, dass sie über Jahre und Jahrzehnte ihrer Ehe mit Abraham keine Kinder bekam, die den Fortbestand seiner Ahnenlinie gesichert hätten. Ich kann mir nur ungefähr vorstellen, wie traurig und von Selbstzweifel zerfressen sie gewesen sein muss, um Abraham schließlich aufzufordern, ihre Magd Hagar zur Frau zu nehmen, damit sie zumindest durch sie doch noch Nachkommen haben könnten. Genauso wenig kann ich mir aber auch vorstellen, wie Hagar sich gefühlt haben muss. Für mich wäre es ein Genuss, Schriften aus diesen Zeiten zu haben, die aus der Perspektive von Frauen geschrieben sind. Oder generell wenn wir mehr Aufzeichnungen hätten, die die Gedanken und Emotionen der Menschen damals widerspiegeln.

Wenn ich mal Lust auf einen neuen Film habe, dann suche ich mir diesen selten nach Genre, oder nach Aktualität aus. Ich suche ihn mir nach Cast aus. Denn ich hasse schlechtes Schauspiel und liebe es aber, wenn Schauspieler die Fähigkeit haben, Emotion so widerzuspiegeln, dass man sie selbst nachempfinden kann. Sodass man vor dem Fernseher sitzen und mitlachen und mitheulen kann.

Und genauso würde ich mir eigentlich die Schriften wünschen. Mit ganz viel Emotion und Einsicht in die Gedanken derer, von denen wir dort lesen. Aber solange uns nicht mehr offenbart ist, können wir nur versuchen, aus den wenigen Zeilen, die wir in diesem Fall über Hagar haben, darauf zu schließen, wie es ihr innerlich ergangen sein muss. Als Frau stellte sie damals nicht viel dar. Als Magd erst recht nicht. Aber wie jeder Mensch wird auch sie sich danach gesehnt haben Liebe zu empfangen und Liebe zu geben. Und hier kam ihre Chance. Abraham, ein wohlhabender Mann, der gesellschaftlich etwas darstellte und Gottes Prophet war, nahm sie zur Nebenfrau. Und sie wurde schwanger.

Nun lesen wir in Genesis 16 darüber, dass bereits mit der Schwangerschaft der Konflikt zwischen Hagar und Sara begann. In Vers  heißt es: „…als sie aber merkte, dass sie Mutter werden würde, sah sie ihre Herrin geringschätzig an.“ Als Leser verleitet diese Formulierung dazu zu meinen Hagar sei in ihrem Herzen stolz geworden und hätte sich über Sara erheben wollen, weil sie Abraham einen Nachkommen gebären würde, was Sara bisweilen verwehrt worden war. Man neigt aufgrund der Perspektive, aus der man die Geschichte betrachtet, fast automatisch dazu, die kinderlose Sara zu bemitleiden und Unverständnis für Hagar zu empfinden. Doch ist das gerecht?

Betrachten wir das Ganze mit mehr Abstand und mit einem neuzeitlichen Verständnis für gesellschaftliche Strukturen und Werte, dann fällt uns schnell auf, wie nachvollziehbar Hagars Verhalten doch ist. Sicher, sie war eine Magd und dieser gesellschaftliche Stand schränkte ihre Rechte enorm ein. Aber hatte sie deshalb keine Gefühle? Keine Wünsche und Träume? Ganz sicher hatte sie die! Und so scheint es, dass ihre Empfindungen sie zu einem Verhalten hinrissen, mit dem ihre Herrin Sara wiederum nicht umgehen konnte und das Verhältnis zwischen Abraham, Sara und Hagar wurde so schwierig, dass sie sich letztendlich dazu entschieden, Hagar mit Abrahams Sohn Ischmael wegzuschicken. Wiederum lesen wir in den Kapiteln, die zu dieser Trennung führte, nur wenig über den inneren Konflikt, den jeder der drei mit sich selbst auszutragen hatte. Aber klar ist, dass Ischmael Abrahams erster Sohn war und er ihn sicher sehr liebte, genau wie seine Mutter Hagar ihn liebte. Aber auch für Sara war er ein Wunschkind gewesen. Und so stelle ich mir vor, dass es viele Gespräche – vermutlich auch viele Streitgespräche, aber auch Schlichtungsversuche – zwischen den drei Erwachsenen gab. Ich stelle mir vor, dass sie alle mit sich selbst rangen und auch nach Weisheit von Gott trachteten, um zu erkennen, wie sie verfahren sollten. Doch sie schafften es letztlich wohl nicht, einen gemeinsamen Nenner zu finden und Sara und Abraham beschlossen, dass es wohl das Beste sei Hagar und Ischmael zu verstoßen.

An dieser Stelle beginnt der Teil der Geschichte, der mich am meisten beschäftigt und beeindruckt hat. Wir wissen nicht genau, wie alt Ischmael war, als seine Mutter und er alleine in die Wüste fortgeschickt wurden und kaum mehr dabei hatten, als einen Schlauch mit Wasser. Aber wir lesen in der Schrift, dass Hagar ihn auf den Schultern trug. Er wird also noch so jung gewesen sein, dass er längere Strecken nicht alleine laufen konnte. Schon nach kurzer Zeit war das Wasser, das sie dabei hatten, aufgebraucht und Hagar brach erschöpft zusammen. Wir lesen in Genesis 21:15-16, dass sie Ischmael unter einen Strauch setzte und sich selbst in einiger Entfernung weit hinsetzte, weil sie überzeugt davon war, dass ihr geliebter Sohn sterben würde und dies zerbrach ihr Herz und sie konnte sein Leid nicht länger mit ansehen. Jede Mutter kann sicher nachvollziehen, welchen unaussprechlichen Schmerz Hagar empfunden haben muss, war sie doch im Begriff ihr einziges Kind, das sie von Herzen liebte, auf leidvolle Art und Weise zu verlieren.

Doch dann geschah etwas, das der Geschichte eine krasse Wendung geben sollte. Denn ein Engel sprach zu Hagar (Vers 17,18) und sprach ihr Mut zu. Gott verhieß ihr durch seinen Engel, dass sie und Ischmael  nicht nur überleben würden, sondern dass er sogar große Segnungen für Ischmael und seine Nachkommen vorgesehen hatte. Und wir lesen in Vers 19 und 20: „ Dann tat Gott ihr die Augen auf, sodass sie eine Quelle mit Wasser erblickte; da ging sie hin, füllte den Schlauch mit Wasser und gab dem Knaben zu trinken. Und Gott war mit dem Knaben, sodass er heranwuchs; er nahm seinen Aufenthalt in der Wüste und wurde ein gewaltiger Bogenschütze.“

Was können wir aus dieser Geschichte über Gott und seinen Umgang mit uns Menschen, seinen Kindern lernen? Für mich bot sie drei Aspekte, die ich näher beleuchten möchte. 

 

1.      Der Herr spricht zu Frauen ebenso wie zu Männern.

Ich glaube, es ist ein Segen der heutigen Zeit und der modernen Welt, dass Frauen mehr und mehr eine gleichberechtigte Stellung in der Gesellschaft bekommen. Und den allermeisten von uns wird längst klar sein, dass Gott Vater seine Töchter genauso sehr liebt, wie seine Söhne und dass er allen seinen Kindern die gleichen Segnungen zuteilwerden lassen möchte. Dennoch mag der eine oder andere dies beim Lesen der heiligen Schriften vielleicht zumindest einmal kurz vergessen. Denn sie entstanden in einer Zeit, als Frauen gesellschaftlich völlig anders dastanden als Männer. Und Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern war zu Zeiten der Bibel, oder auch des Buches Mormon etwas, das niemandem auch nur in den Sinn gekommen wäre. Und entsprechend sind die Geschichten, die wir dort lesen sehr sehr rar, was Einblicke in das Leben, die Gedanken und Gefühle von Frauen und eben auch in den Umgang Gottes mit Frauen, gewähren würde. Doch in dieser Geschichte um Hagar und auch Sara lesen wir ganz direkt davon, wie Gott zu seinen Töchtern sprach. Er offenbarte sich Hagar gleich zweimal durch einen heiligen Engel als Boten und gab ihr Weisheit, Trost und Verheißungen. Er sah Hagar! Er kannte sie beim Namen und sprach sie bei ihrem Namen an! Ihr gesellschaftlicher Stand, die Tatsache, dass sie eine Frau war, ja nicht einmal ihre religiöse Zugehörigkeit (denn sie war eine Ägypterin) machten vor Gott einen Unterschied. Er sah ihr Leid und das Leid ihres Sohnes und stand ihr bei. 

 

2.      Der Herr gibt uns das, was wir brauchen. Er verändert aber nicht unsere Lebensumstände.

Im Moment größter Not, als Hagar fürchtete zu verdursten. Und was noch schlimmer war: als sie befürchtete, ihr Kind müsse verdursten, tat Gott ihr die Augen auf und sie erkannte einen Brunnen, nicht weit von der Stelle, an der sie sich gerade befand. Gott gab ihr genau das, was sie in diesem Moment am dringendsten brauchte: Wasser! Er befreite sie damit aus ihrer ganz akuten Notlage. Was tat er aber nicht? Er befreite sie nicht aus der Wüste. Ich glaube, dass wir aus dieser Begebenheit etwas ganz wichtiges darüber lernen können, wie Gott uns Menschen beisteht. Wenn wir Glauben haben, dann können wir in unserem täglichen Leben, besonders aber in Zeiten der Not erkennen, dass Gott uns beisteht. Jedem seiner Kinder, das Glauben an ihn hat, oder zumindest den Wunsch zu glauben, wird er mindestens das geben, was es in der Not braucht. Er wird aber nicht die Lebensumstände ändern, in denen wir uns befinden. Er greift nicht in das Weltgeschehen ein, denn dieses ist das Ergebnis unserer Entscheidungen hier auf der Erde. Und er hat uns die Freiheit gegeben, Entscheidungen zu treffen. Aber er wird uns dennoch das geben, was wir brauchen. Ode mit anderen Worten: Gott nimmt nicht die Wüste von uns. Aber er zeigt uns den Brunnen!

 

3.      Der Herr Gott wird den Seinen helfen, das Beste zu werden, was sie nur sein können.

Es ist nur ein Nebensatz in einem ohnehin schon kurzen Vers, aber er enthält die für mich wahrscheinlich beeindruckendste Weisheit dieser Geschichte um Hagar und ihren Sohn Ischmael. In Genesis 21:20 lesen wir: „…er (Ischmael) nahm seinen Aufenthalt in der Wüste und wurde ein gewaltiger Bogenschütze“. Abgleitet davon, was wir über Hagar erfahren, bin ich sicher, dass sie sich ihr Leben und vor allem die Zukunft ihres Sohnes anders vorgestellt hatte. Und wenn Ischmael davon erfuhr, wer sein Vater war und welche hohe Stellung er hatte, so wird auch er sich sicherlich an irgendeinem Punkt seines Lebens gewundert haben, welche vermeintlich negative Wendung sein Leben schon in seiner frühsten Kindheit genommen hat und wie die Verheißungen des Herrn an ihn sich wohl erfüllen würden. Aber sie nahmen ihre Lebensumstände so an, wie sie eben waren. Wir wissen nicht, ob sie mit dem Schicksal haderten. Aber meine Vermutung ist, dass sie es annahmen. Denn Ischmael wurde ein mächtiger Bogenschütze. In dem Umfeld, in dem er war,  wurde er genau zu dem Mann, den es brauchte, um das Beste aus den gegebenen Umständen zu machen. Diese Geschichte gibt uns Hoffnung darauf, dass wir völlig unabhängig davon, in welchen Umständen wir geboren werden, oder in welche Umstände wir auch immer im Laufe unseres Lebens geraten werden, mit Gott an unserer Seite zu dem Besten werden können, das wir sein können! 

 

Das Wunderbare an den Heiligen Schriften ist, dass jeder, der nach Antworten sucht, dort vom Herrn inspiriert genau das entnehmen kann, was für ihn wichtig ist. Es ist mein Zeugnis, dass der himmlische Vater zu uns spricht! Er spricht zu uns, er kennt uns und er hat Großes für uns im Sinn. Er sorgt für die Seinen! Wenn wir unser Leben im Glauben an ihn bestreiten, dann wird er uns die Brunnen zeigen, die wir brauchen, um Notlagen zu überstehen. Und er wird uns zu dem Besten machen, was wir sein können!

 

- Schwester Dana Jähn

Kommentare

  1. Damaris Grünbichler5. Mai 2022 um 12:11

    Wunderbare Sichtweise und Erläuterung ❤🙏 Vielen Dank für diesen geistigen Input.

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  2. Danke für deine wertvollen Gedanken liebe Dana & die Arbeit die du hier im Hintergrund leistest💝. LG Danie

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